Technik zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Technik zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Technik zu Beginn des 21. Jahrhunderts
 
Seit Jahren wissen wir, dass in allen hochindustrialisierten Ländern die Zahl der Arbeitsplätze im technischen Gewerbe drastisch abnimmt. Das Wissen darum hat nicht bewirken können, dass diese Abnahme gestoppt oder gar wieder in Wachstum umgekehrt wurde. Ist das Wissen um unsere Probleme allein nichts wert? Sind wir mit Lösungen auf der Grundlage der Technik gar am Ende? Verschiedentlich gewinnt man den Eindruck, dass die von sozialen Spannungen gepeinigte Gesellschaft das so sieht. Die Technik wird verdächtigt, wenn nicht schon beschuldigt, die Ursache der sozialen Probleme zu sein, nicht die Folge unklugen Umgangs damit. Stimmt das? Angesichts unbestreitbarer technischer Risiken neuerer Entwicklungen wie der Kernenergie oder der Gentechnik sowie sozialer Spannungen im Gefolge der Automatisierung würde man es sich auf alle Fälle zu leicht machen, den Zweiflern die Auswanderung in von der Technik (noch) unberührte Gebiete zu empfehlen. Erstens gibt es davon (schon) nicht mehr genug, und zweitens löst das die Probleme nicht. Was dann? Die Alternative: Zweifel und Zweifler unterdrücken und ganz auf die Kraft des Marktes für jedwede Technik setzen, ist nicht mehr konsensfähig und im Übrigen fahrlässig. Immerhin wäre denkbar, den Stand der Technik einzufrieren und mit dem Erreichten auszukommen. Man könnte so Ressourcen schonen und die Natur im Ganzen auch — das zentrale Anliegen vieler, die sich um die Zukunft sorgen. Weiterentwickeln dürfte man allenfalls dort, wo der Nutzen eindeutig ist und Schäden verlässlich auszuschließen sind. Vorstellbar wäre dies bei Projekten zur besseren Ernährung, zur Gesundheitsvorsorge, im Krankheitsfalle und zum Schutz von Atmosphäre, Wasser und Boden. Nur: Würde nicht mit einer solchen Reglementierung der Weg in die kontrollierte Gesellschaft im Ganzen frei? Diktatorische Versuche ähnlicher Art waren schon in der Vergangenheit bestenfalls Irrtümer, schlimmstenfalls Verbrechen an der Menschheit. Dennoch: Die letzten 50 Jahre haben deutlich gemacht, dass es mit »trial and error« nicht weitergeht und auch kleine Schritte nicht (mehr) ausreichen. Die außerordentliche Dynamik der gesellschaftlichen Veränderungen verlangt vielmehr jetzt das, was der Technik zuletzt gelungen ist: große Sprünge in kurzer Zeit, bei der Abwägung von Chancen und Risiken mit dem Ziel, zu entscheiden, ob und inwieweit sich Mensch und Technik noch gemeinsam weiterentwickeln wollen. Die folgenden Darlegungen sollen dafür das Bewusstsein schärfen.
 
 Das Wohl der Menschheit fördern, ist das Ziel der Technik
 
Der Begriff Technik stammt aus dem Griechischen. Dort bedeutete »téchné« die Kunst oder Fertigkeit, etwas Bestimmtes in Handwerk, Wissenschaft oder Kunst zu erreichen. In diesem Sinne ist die Kulturgeschichte der Menschheit auch eine Geschichte der techne. Der Mensch gewann an Einsicht und Fertigkeit, indem er die Probleme des täglichen Lebens mit téchné lösen lernte. Die Altsteinzeit kannte schon Axt, Speer, Bogen und Pfeil als technische Hilfen zur Jagd, Knochennadel, Bohrer und Öllampen als »Produktionsmittel«. In der Jungsteinzeit kamen Hacke, Säge, Pflug und Webstuhl hinzu. Das Wagenrad aus Holz kennt man seit 8000, das Rad mit Speichen seit 5000 Jahren. Vor 5000 Jahren wurden in Ägypten bereits Segelschiffe gebaut, es gab die Gerberei und die Bierbrauerei. In China wurde damals das Papier erfunden, der Druck mit beweglichen Wortbildtypen, das Porzellan, der Eisenguss und der Kompass, in Indien die Stahlbearbeitung und das Spinnrad. All dies erfüllte nur einen, nämlich den von Oskar von Miller formulierten Zweck: »Das Wohl der Menschheit fördern, ist der Sinn der Technik.« Auf diese Prämisse geht auch noch in der frühen Neuzeit der Ansatz zurück, die menschliche Arbeitskraft zielstrebig durch Maschinen zu ersetzen. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die mathematische Naturwissenschaft zum neuen Fundament der technischen Entwicklung. Ihre Erfolge beschleunigten die Durchdringung aller Lebensbereiche mit technischen Verfahren und Produkten. An der Wende zum 3. Jahrtausend ist unsere Welt eine Welt der Technik; wir leben mit Technik und kommen ohne sie nicht mehr aus.
 
Diese Abhängigkeit bewirkt zunehmend Bedenken und Ängste. Sie kamen schon im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund technischer Havarien und Katastrophen (Eisenbahnunglücke, Schlagwetterexplosionen) auf und konfrontierten uns so mit dem durch Technik ausgelösten Massenunfall. In dem durch die industrielle Revolution eingeleiteten Industriezeitalter wurden darüber hinaus viele der überlieferten Lebensformen brüchig, und Technik (Maschinen) wurde somit ein soziales Problem. Die Grundeinstellung zur Technik blieb dennoch im Ganzen positiv, weil die wirtschaftlichen Vorzüge immer wieder überwogen. Noch im Nachkriegsdeutschland war Technikakzeptanz kein Thema, obwohl die beiden Weltkriege mit allen Mitteln der Technik geführt worden waren. In den folgenden Aufbaujahren galten der wissenschaftlich-technische Fortschritt und seine industrielle Umsetzung geradezu als Garantie für Wohlfahrt. Als das Institut für Demoskopie in Allensbach 1966 in Deutschland erstmals die Frage beantworten ließ, ob die moderne Technik eher ein Segen oder ein Fluch für die Menschheit sei, hielten noch 78 Prozent Technik für eher segensreich, 19 Prozent meinten weder noch, und nur drei Prozent verbanden mit Technik Negatives. In den 1970er-Jahren änderte sich dieses Meinungsbild nahezu dramatisch. In der Folge symbolträchtiger technischer Katastrophen in Kernkraftwerken (Harrisburg), Chemieanlagen (Seveso) und mit Öltankern wurde die Gesellschaft unsicher: 1976 ermittelte Allensbach nur noch 53 Prozent für »eher segensreich«, die ambivalente Haltung stieg auf 37 Prozent »weder noch«, und »eher negativ« waren jetzt 10 Prozent. Dass sich dieser Meinungsumschwung nachhaltig verfestigt hat, bestätigen die nahezu unveränderten Prozentzahlen von 1995: 54, 35 und 11 Prozent. Die projizierten Probleme mit den »Grenzen des Wachstums« verstärkten den zuerst ökologisch bedingten Pessimismus noch. Der Abschwung des Produktions- und Technikstandortes Deutschland und die eher diffusen Zukunftsperspektiven werden mit verfehlten Technikstrategien in Verbindung gebracht. Als Konsequenz wird zunehmend die Forderung nach Techniksteuerung laut, die den Fortschritt nun stärker an ethische und soziale Ziele binden soll. Eine darauf ausgerichtete »geführte« Technik ist das zentrale Thema dieser Zeit. Angesichts der Tatsache, dass die zunehmenden sozialen Verwerfungen so oder so mit Wirtschaft und Technik verbunden sind und außer Kontrolle zu geraten drohen, ist diese Forderung im verschärften Sinne von Millers verständlich. Anders als in den Jahrhunderten zuvor ist der Einzelne aber außerstande, Antworten alleine zu finden. Angesichts der hohen Komplexität der Zusammenhänge braucht es die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Soziologen — also der Gesellschaft mit ihrer fachlichen Kompetenz im Ganzen. Wir müssen dazu die erforderlichen Entscheidungen auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse treffen. Diese Vorgehensweise kollidiert möglicherweise mit dem Lösungsdruck, den die Umstände auferlegen. Davon abweichen und stattdessen emotional zu reagieren, wäre unverantwortlich. Die neuere Geschichte kennt leider genug Negativbeispiele dieser Art: Die Einführung der EDV in den Büros Anfang der 1980er-Jahre wurde einfach verdächtigt, Arbeitsplätze zu vernichten. Der Verdacht reichte aus, eine technisch und wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung zu behindern. Er ist heute ausgeräumt. Dennoch bleibt objektiv richtig, dass wir im neuen Jahrtausend neue Orientierungshilfen für den Umgang mit der Technik brauchen, die sich an dem ausrichten müssen, was sich die Gesellschaft jetzt davon erwartet: sozialverträglich, umweltverträglich und ethisch gerechtfertigt.
 
Im Hinblick darauf stehen heute die Energietechnik, die Verkehrstechnik, die Bio- und Medizintechnik, die Informations- und Kommunikationstechnik sowie — übergreifend — die Umwelttechnik im Mittelpunkt.
 
 
Energie deckt einen elementaren Bedarf unseres Lebens. Kohle, Erdöl und Erdgas waren und sind die klassischen Ressourcen für die Erzeugung von Wärme und elektrischem Strom. Sie wurden unbedenklich genutzt und verbraucht. Der Rückgriff auf diese fossilen Energieträger hat inzwischen Ausmaße erreicht, die die Erschöpfung der Reserven in Sichtweite von 100 bis 200 Jahren rücken. Trotzdem begann erst vor wenigen Jahrzehnten die Einsicht zu wachsen, dass neue Quellen erschlossen werden müssen. Die Kernenergie schien eine rasch entwickelbare Lösung zu sein. Im ökonomischen Sinne ist sie heute schon eine starke Alternative. Ihr Hauptproblem ist, dass Zweifel an ihrer Sicherheit und Umweltfreundlichkeit nicht auszuräumen sind. In Deutschland hat man diese Bedenken höher bewertet als die Chancen mit dieser Technik und die Kernenergie aus dem energetischen Zukunftskonzept gestrichen. Adäquate Technologien sind jedoch nicht parat. Die Technik wird aufgefordert, sie unverzüglich auf der Basis des Leitbildes Nachhaltigkeit zu entwickeln und die ökologischen und sozialen Vorgaben zu beachten.
 
Ein in diesem Sinne technisch einfacher und auch nachhaltiger Ansatz wäre, den Energieverbrauch zu senken. Das muss auch ein Teilziel bleiben, obwohl Einsparstrategien erfahrungsgemäß nicht dauerhaft wirken und dem auch objektive Schwierigkeiten entgegenstehen: Der weltweite Energiebedarf wird nämlich aufgrund des ungebrochenen Bevölkerungswachstums und des industriellen Aufbaus in den heutigen Entwicklungs- und Schwellenländern zwangsläufig weiter ansteigen.
 
Die Hoffnung liegt damit auf den zurzeit noch unterentwickelten regenerativen Energiequellen. Im Hinblick darauf gelten die Solarenergie, die Windkraft und die Bioenergie als Favoriten. Das war aber schon vor fast 300 Jahren so, nachzulesen in »Gullivers Reisen« von 1726: »Er hatte acht Jahre an einem Projekt gesessen, Sonnenstrahlen aus Gurken zu ziehen, die in hermetisch verschlossene Gefäße gegeben und in rauen, unfreundlichen Sommern herausgelassen werden sollten, um die Luft zu erwärmen. Er sagte mir, er zweifle nicht daran, dass er nach weiteren acht Jahren imstande sein werde, die Gärten des Statthalters zu einem annehmbaren Preis mit Sonnenschein zu beliefern. Er klagte jedoch darüber, dass sein Betriebskapital gering sei, und bat mich, ihm etwas als Ermutigung für den Erfindergeist zu geben, zumal die Gurken in diesem Jahr sehr teuer gewesen seien.« Selbstverständlich wird diese Reminiszenz der Ernsthaftigkeit des Anliegens heute nicht gerecht. Sie charakterisiert es aber richtig: In der Not wird alles propagiert und probiert, und ohne Subventionen geht es nicht. Glücklicherweise können Wissenschaft und Technik heute auf fundiertere Kenntnisse und eine hohe Bereitschaft zur Finanzierung aussichtsreicher Entwicklungen aufbauen. Legt man vernünftige Erfolgsaussichten zugrunde, könnten in 20 bis 30 Jahren mit regenerativer Energie etwa 50 Prozent der heute eingesetzten fossilen und nuklearen Energieträger substituiert werden. Höhere Energieabgabepreise würden diesen Umbau unterstützen. Ob auch sie »nachhaltig« durchsetzbar sind, darf man bezweifeln; Preisverfall ist schon immer ein Kennzeichen technischer Produkte gewesen! Zunächst sind aber kreative Ingenieure am Zug. Sollten sie scheitern, muss die Gesellschaft ihre energiepolitischen Entscheidungen überdenken und gegebenenfalls korrigieren.
 
 
Verkehr und Transport sind für eine prosperierende Volkswirtschaft Schlüsseldienste. Industrielle Mobilität, Stadtplanung und Umweltschutz hängen damit eng zusammen. Ungeachtet dieser Zusammenhänge hat sich der Verkehr eher am Angebot der Technik und ihren Kosten orientiert. Dadurch ist zweifellos vieles vorangekommen. Insgesamt werden nun aber auch die Lasten und Grenzen deutlich: überfüllte Straßen, zu wenig U-Bahnen im Nahverkehr, überfüllte Autobahnen und Lufträume und komplizierte Trassenfestlegung im schienengebundenen Nah- und Fernverkehr. Wahrscheinlich hätten diese Probleme vermieden oder zumindest hinausgeschoben werden können, wenn die Beziehungen zu Energie- und Rohstoffeinsatz, Bevölkerungsentwicklung und Umweltschutz rechtzeitig in eine vorausschauende Verkehrsplanung einbezogen worden wären. Was nun bleibt, ist die Optimierung im Detail.
 
Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenwärtig der wichtigste Verkehrsträger. Man kann sich nicht vorstellen, wie er zu ersetzen wäre. Umso wichtiger ist es, die Kraftfahrzeugtechnik fortzuentwickeln. Richtungsweisende Akzente dafür sind am Fahrzeug selbst benzinsparende, abgasarme Motoren, geräuscharmes Design und hohe Unfallsicherheit. Ein strategischer Durchbruch wären automatische Fahrer- und Fahrzeugleitsysteme mit rechnerunterstützter Verkehrsführung. Zumindest auf Autobahnen sollte das machbar sein.
 
Der Schienenverkehr galt lange Zeit als ausgereift, betriebssicher und auch unter aktuellen Umweltgesichtspunkten akzeptabel. Der Trend, die Fahrgeschwindigkeit zu steigern, offenbart neuerdings Defizite im Hinblick auf Werkstoff- und Konstruktionssicherheit. Sie dürften zu beheben sein. Die neuere Variante der schienenfreien Bahn in Magnetschwebetechnik könnte manche technischen Schwierigkeiten der schienengebundenen Hochgeschwindigkeitsbahn umgehen, provoziert aber zunächst neue Probleme, was die Umwelt- und Kostenakzeptanz anbelangt. Selbst wenn sie versagt, bleibt die Bahn attraktiv.
 
Der Schiffsverkehr hat sich mehr und mehr auf den Warentransport ausgerichtet. Insofern steht er nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Gelegentliche Tankerunfälle rütteln daran, weil sie meist große Umweltschäden mit sich bringen. Die Forderung nach bruch- und lecksicheren Transporten wird technisch zu erfüllen sein.
 
Der Flugverkehr ist heute komfortabel und sicher. Stetige Verbesserungen der Schall- und Abgasemissionen haben die umweltrelevanten Lücken der Flugzeuge ziemlich geschlossen. Die zunächst vermuteten größeren Risiken mit Großraumflugzeugen haben sich nicht bestätigt. Bisher nicht durchgesetzt hat sich dagegen das Angebot des Überschallflugzeugs. Umwelt- und Kostengründe sprechen auch dagegen, dass sich daran viel ändern wird. Diese Entwicklungsphase zum schnelleren Flug könnten vielleicht in einigen Jahrzehnten raumgestützte Transportsysteme überspringen. Das ist weniger ein Problem der Technik als der Kosten. Diese liegen heute bei 10 000—15 000 US-Dollar pro Kilogramm Nutzlast. Breiterer wirtschaftlicher Nutzen dürfte sich erst unter 4000 US-Dollar im Warentransport beziehungsweise 100 US-Dollar im Personentransport ergeben. Der Weg dahin ist den heute verwendeten Trägersystemen (Raketen) verbaut. Er dürfte nur mit wiederverwendbaren Low-Cost-Shuttles zu ebnen sein. Zwingend ist dieses Ziel nicht, aber auch nicht kollisionsträchtig.
 
Die im Grunde ansprechenden Skizzen dieser Teilverkehrssysteme vermitteln nicht die Brisanz, die im Verkehr insgesamt und in unserer Haltung ihm gegenüber steckt. Hier tun sich große Widersprüche auf: Wir schätzen die Annehmlichkeiten des privaten Autos und schneller Züge und Flugzeuge und auch die zügige Verteilung von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern per Auto, Bahn oder Flugzeug. Umgekehrt klagen wir über die Verkehrsdichte und damit gekoppelt über Lärm, Smog und Unfälle. Und dennoch wehren wir uns gegen den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes und des Flugverkehrs. So schlimm es ist: Hierfür sind Lösungen nicht in Sicht, zumindest nicht mit Technik allein.
 
 Bauen und Wohnen
 
In Frankfurt leben die Menschen anders als in Chicago oder in Singapur. Dennoch gewinnen die Silhouetten der Städte an Ähnlichkeit, weil dieselben Sachzwänge sie formen: Platzmangel und hohe Bodenpreise zwingen zum Bau von Hochhäusern, machen Grünanlagen oder gar Parks dazwischen nahezu unbezahlbar und dichte Straßennetze unvermeidlich. Gilt auch dafür noch: »My home is my castle«?
 
In der Tat hat die Technik zu diesem Wandel erheblich beigetragen, aber nicht ursächlich. Dass wir heute anders wohnen und dementsprechend bauen, ist in erster Linie eine Folge der Bevölkerungsverdichtung in Ballungsräumen, gekoppelt mit steigenden Ansprüchen an die Verfügbarkeit und die Qualität der Wohnungen. Schon die Antike kannte dieses Problem. Der Rückblick könnte allerdings zu der Annahme verführen, dass die Städteplaner damals entweder mehr konnten oder es leichter hatten. Vermutlich hatten sie es leichter. Heute sind die Szenarien und Zusammenhänge von Bautechnik, Energie- und Wasserversorgung, Abfallentsorgung und Verkehr viel komplexer. Andererseits stehen den Städteplanern jetzt mit CAD-gestützten Hilfsmitteln vom Bürocomputer über Geo-Informationssysteme (GIS) bis zur Architektur in virtueller Realität Instrumente zur Verfügung, die die Lösung planerischer Aufgaben geradezu leicht machen sollten. Insofern kann aus technischer Sicht die Planung nicht das begrenzende strategische Element für Bauen und Wohnen nach unseren Vorstellungen sein. Es sind die Randbedingungen, vor allem die Kosten!
 
Daran muss sich die Technik vorzugsweise orientieren. Zuerst betrifft das die Investitionen, das heißt also, die Baukosten. Bei wenig gestaltbaren indirekten Einflussgrößen wie Löhnen liefern die direkten Herstellkosten die Ansatzpunkte. Die Verwendung von vorgefertigten größeren Bauteilen anstelle von Ziegeln geht in diese Richtung. Im Hinblick auf die späteren Betriebskosten spielen die hierfür verwendeten Materialien eine große Rolle, auch bezüglich Schall- und Wärmedämmung. Wenn damit zum Beispiel der Heizungsverbrauch von derzeit über 100 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr auf ein Fünftel gesenkt werden könnte, dann hätte ein Haus mit 120 Quadratmetern Wohnfläche einen Heizenergiebedarf von nur noch 2400 Kilowattstunden im Jahr. Bei einem Heizwert des Heizöls von 10 Kilowattstunden pro Liter ergäbe sich unter Berücksichtigung unvermeidbarer Verluste ein jährlicher Heizölbedarf von nur noch 250 Litern für dieses Haus. Damit würden sich Öltanks erübrigen; die Bereitstellung könnte sogar über Leitungsnetze erfolgen. Ökologisch konsequenter wäre in diesem Fall gleich der Übergang vom fossilen Brennstoff auf hauseigene Solarkollektoren. Dass dieser Trend schon heute keine Utopie mehr ist, belegen die nach diesem Prinzip realisierten Null-Heizenergie-Häuser!
 
Der Wohnkomfort muss darunter nicht leiden, im Gegenteil. Die Technik bietet genug Optionen, ihn sogar noch zu verbessern, ohne die Gesamtkosten zu erhöhen. Um am Energiekostenbeispiel anzuknüpfen: Schon mit einfachen elektronischen Sensorschaltungen lässt sich bewerkstelligen, dass sich Fenster und Türen automatisch schließen, wenn sich die Heizung einschaltet, oder dass die Heizung auf eine niedrigere Raumtemperatur herunterschaltet, wenn keine Personen im Haus sind. Analoge Schaltungen lassen sich für die Beleuchtung, die Luftbefeuchtung oder zur Einbruchsicherung einsetzen. Wie nützlich solche technischen Hilfen sind, zeigt die Entwicklung der Küchenausstattung in den letzten 30 bis 40 Jahren. Inzwischen sind Mikrowellenherde, Waschmaschinen und Geschirrspüler Standard und funktionieren energie-, wasser- und umweltschonend. Elektronik, Chemie und Maschinenbau haben das zusammen bewirkt. Ein Ergebnis durchdachter Materialentwicklung sind die Ceran-Kochplatten und — demnächst — die rückstandsfreien Kochmulden. Zur Erinnerung: Wie machten (schafften) es die Frauen vorher? Die angestrebte »Humanisierung der Arbeitswelt« durch die Technik findet in der Küche ihr exemplarisches Musterbeispiel!
 
Die Automatisierung hilft auch noch bei einem anderen aktuellen Aspekt: Mit der höheren Lebenserwartung steigt die Pflegebedürftigkeit. Die dann benötigten Hilfen kann die Technik liefern. Die alten- oder behindertengerechte Konstruktion des Hauses gehört ebenso dazu wie die Abläufe im Haus. Die erwähnten automatischen Sensorschaltungen gehen in diese Richtung, auch das Electronic Shopping und Banking. Eine sinnvolle Auslegung dieser Hilfen wäre ihre Steuerung durch Sprachkommunikation — sie wird kommen.
 
Trotz, eigentlich sogar wegen der eingeengten Gestaltungsfreiheit außerhalb von Haus oder Wohnung erweist sich Bauen und Wohnen ganz offensichtlich als modernes Beispiel für Technik mit hoher Triebkraft in gesellschaftlichem Konsens. Nur ist das neue Ziel jetzt: »My home is my platform and my door to the world«.
 
 Ernährung und Gesundheit
 
Ein verheerender Tatbestand kennzeichnet die Ernährungslage: auf der einen Seite Länder und Völker im Überfluss, auf der anderen Seite katastrophale Zustände bei den Ärmeren. Das hat zur Folge, dass bei den einen das größte Ernährungsproblem ihre Überernährung ist, die wesentlichste Ursache für Herz- und Kreislaufbeschwerden, Stoffwechselkrankheiten und Schäden im Bewegungsapparat, bei den anderen — das sind mehr als 500 Millionen — reicht es nicht einmal für das lebenserhaltende tägliche Minimum an Kalorien.
 
Diese Schieflage in der Ernährung hängt an Verteilungsproblemen, an politischen Strukturen und natürlich auch an wirtschaftlichen Gegebenheiten vor Ort. Die Verteilung ist primär keine Frage der Technik. Sie muss politisch gelöst werden. Parallel dazu muss ein zweiter Weg beschritten werden: die Intensivierung und Industrialisierung der Produktion von Nahrungsmitteln in den Mangelregionen selbst, aber unterstützend auch in den Überschussregionen. Insofern ist Ernährungsforschung von fundamentaler Bedeutung. Sie muss neue Verfahren zur Gewinnung unkonventioneller oder auch synthetischer Nahrungsgrundstoffe und Futtermittel bereitstellen. Durch Rückführung von Abfallstoffen ließe sich der natürliche Stoffkreislauf gut ergänzen. In der Pflanzenzüchtung zielen in diesem Sinne isotopentechnische und genetische Methoden darauf ab, den Eiweißertrag und vor allem die Krankheitsresistenz von Nutzpflanzen nachhaltig zu verbessern. Die Vermeidung der großen Verluste durch Fäulnis und Insektenbefall wäre ein bedeutender Fortschritt. Daneben kann auch die Meeresforschung neue Nahrungsquellen erschließen, die bisher überhaupt noch nicht genutzt werden.
 
In Bezug auf die Gesundheit ist die Lage nicht viel anders, soweit sie mit Ernährung zusammenhängt. Ansonsten werden Krankheiten als lokal und zeitlich begrenzte Defekte gesehen. Von der Medizin wird erwartet, dass sie sie repariert. Im Hinblick darauf hat die (medizinische) Technik in den letzten Jahrzehnten Unglaubliches geleistet, von der Diagnose bis zur Chirurgie. Sie steht trotzdem vor neuen Herausforderungen, weil sich die Krankheitslandschaft verändert. Noch bis in unser Jahrhundert hinein zählten Infektions- und Mangelkrankheiten zu den häufigsten Todesursachen, heute sind es die Zivilisationsschäden der Industriegesellschaft: Krankheiten des Herzens und des Kreislaufs, der Verdauungsorgane und beim Stoffwechsel (etwa Diabetes). Wenn auch die Zivilisationskrankheiten erfolgreich bekämpft werden sollen, müssen vorbeugende Maßnahmen die klinische Behandlung ergänzen oder am besten ersetzen.
 
Inzwischen aber ist die Entwicklung der Kosten im Gesundheitswesen im Ganzen der am meisten diskutierte Aspekt. Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Kosten eine Höhe erreicht haben, über die man kaum noch hinausgehen kann. Umso dringlicher sind Konzepte, die medizinisch wirksam und dennoch finanzierbar sind. Entsprechende Ansätze hierfür liefert die Biotechnologie. Den zugrunde liegenden Prozessen ist gemeinsam, dass sie Mikroorganismen benutzen, um organische Substanzen chemisch (fermentativ) umzusetzen. Sie werden seit dem Altertum genutzt (beispielsweise beim Bierbrauen mithilfe von Hefen, bei der alkoholischen Gärung, beim Ansäuern von Brotteig und bei der Herstellung von Joghurt und Käse). Verstanden hat man sie allerdings erst, nachdem die steuernden Mikroorganismen im Mikroskop entdeckt wurden. In unserem Jahrhundert entstand auf dieser Basis durch die Kombination unseres Wissens über Biologie und Chemie und den Gebrauch ingenieurtechnischer Fähigkeiten eine breit angelegte Fermentationsindustrie. Zurzeit erhält sie mit der Entwicklung und Produktion von Wirk- und Arzneistoffen einen neuen Schub: Ganze Substanzklassen wie Antibiotika, Hormone, Antikörper und Impfstoffe lassen sich damit herstellen. Das eigentliche Potenzial der Biotechnologie liegt aber in der Gentechnik. Während die klassische Züchtung von Pflanzen und Tieren mit den zeitraubenden und relativ ungezielten Verfahren von Mutation und Auslese auskommen muss, ermöglicht die Gentechnik die gezielte Veränderung von Erbgut. Ihr Potenzial für die Medizin liegt nicht nur bei synthetischen Pharmaka, die in den Krankheitsablauf wirksam eingreifen, sondern auch in der Vorsorge, weil Krankheiten nicht nur schneller und sicherer nachweisbar, sondern unter Umständen auch vorhersagbar werden. Die Dynamik der Gentechnik wird anhand der Entwicklung des Umsatzes im Pharmabereich deutlich: Er betrug 1990 weltweit rund sechs Milliarden DM, 1995 bereits etwa 18 Milliarden DM und 1997 rund 27 Milliarden DM. Gemessen am Gesamtpharmamarkt waren das 1995 etwa sechs Prozent, für 2000 rechnet man mit circa 16 Prozent. Aber auch in der Nahrungsmittelproduktion bietet die Gentechnik außerordentliche Perspektiven im Hinblick auf Ertragssteigerung mit bekannten, vor allem aber durch neue Sorten sowie deren Resistenz gegen Fäulnis und Schädlinge. Zurzeit hängen mehr als 90 Prozent der Nahrungsmittelproduktion von weniger als einem Dutzend Kulturpflanzen ab!
 
Dennoch: auch die Biotechnologie bewirkt Ängste und Ressentiments. Sie beziehen sich allerdings weniger auf nachweisbare technische Risiken. Der Umgang mit der Gentechnik in den letzten 25 Jahren macht die Wissenschaftler sogar ziemlich sicher, dass sie keine spezifischen, großen technischen Gefahren birgt. Die Gegenargumente beziehen sich viel mehr auf soziale Indikatoren (Stichwort: Menschenzüchtung). Die Gentechnik wird als Technik gesehen, die nun wirklich an die Grundpfeiler der menschlichen Existenz rührt, mit Konsequenzen, die weder vorhersehbar noch beherrschbar zu sein scheinen. Es bleibt zu hoffen, dass es den Verantwortlichen (Wissenschaftlern und Politikern) gelingt, diese Bedenken auszuräumen. Dann wäre die Biotechnologie der Hoffnungsträger für Ernährung und Gesundheit!
 
 Information und Kommunikation
 
Beschaffung, Übermittlung und Speicherung von Informationen waren schon immer Notwendigkeiten, mit denen sich der Mensch auseinander setzen musste. Frühe Belege dafür sind bildliche Darstellungen, die auch ohne Kenntnis einer bestimmten Sprache verständlich waren. Ihre begrenzte Aussagekraft und »Produktionstechnologie« führten quasi über Rationalisierung und Normung zur Bilderschrift (Hieroglyphen) und schließlich zu den Schriftzeichen. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern beschleunigte die Vervielfältigung und Verbreitung. Zur schnellen Übermittlung von Informationen entwickelten sich parallel andere Techniken: akustische, optische und zuletzt elektromagnetische. Die akustischen Verfahren (Rufpostenketten mit Relaisstationen alle 100 bis 200 Meter) waren aufgrund ihrer geringen Leistungsfähigkeit unbedeutend. Bis in das 19. Jahrhundert hinein dominierte die Optik mit beachtlichen Leistungen. Die Fackelpost des Agamemnon, mit deren Hilfe er in einer einzigen Nacht die Eroberung Trojas über 500 Kilometer und nur acht Relaisstationen seiner Frau Klytemnestra nach Argos gemeldet haben soll, sowie Berichte von Herodot über eine optische Nachrichtenverbindung von Athen nach Kleinasien zurzeit von Xerxes sind frühe Hinweise auf eine schon damals effiziente Kommunikationstechnik. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die elektromagnetische Übertragung zum technischen Standard. Ihre Leistungsfähigkeit bezüglich Übertragungskapazität und -geschwindigkeit kam der rasch anwachsenden Flut an zu übermittelnden Informationen entgegen. Der Ausbau der Informationstechnik via Rundfunk, Fernsehen, Telefon und Telefax sowie Computer hat das 20. Jahrhundert geprägt. Heute sind die ständige Verfügbarkeit von Informationen und die bequeme Kommunikation Selbstverständlichkeiten, die wir im Alltag nicht mehr missen möchten.
 
Im 21. Jahrhundert sollen Information und Kommunikation unser Leben noch nachhaltiger verändern. Es wird angenommen, dass schon in zehn Jahren das Informationsaufkommen um das Zehnfache über dem von heute liegt. Technische Basis für die entsprechenden Dienste werden (wieder) optische Systeme sein, nun in Form von breitbandigen photonischen Netzen mit Glasfasern hoher Übertragungskapazität und schnellen optoelektronischen Schaltern. Das Internet ist die Grundlage der neuen kommunikationstechnischen Welt. Damit wird sich der Informations- und Kommunikationsmarkt im Sinne der Prognose von Graham Bell: »Jede Information wird für Jedermann an jedem Ort zu jeder Zeit verfügbar« vollends zu einem Versorgungsmarkt entwickeln. In der Industrie wird die Information zum stimulierenden Wettbewerbsinstrument für Systeme und Kunden. Ihre konsequente Nutzung bedeutet aber auch den Umbau der Unternehmen vom Fundament des geschützten Wissens um das eigene Know-how auf eine schnell veränderliche Plattform des weltweit verfügbaren Know-hows. Das verlangt die Schaffung ganz neuer betrieblicher Abläufe und Strukturen. In der Führungsebene der Unternehmen könnte schließlich neben dem »Chief Executive Officer« (CEO) künftig ein »Chief Information Officer« (CIO) stehen!
 
Auch für die Gesellschaft im Ganzen wird sich manches ändern. Technische Dienste wie E-Mail, Multimedia und Electronic Shopping und Banking werden nicht nur in gewohnte Strukturen und Abläufe eingreifen, sondern in die Arbeitswelt überhaupt. Hier wird verstärkte Telearbeit eine Konsequenz sein. Im Gesundheitswesen werden die neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten die Ferndiagnose und die Patientenüberwachung erleichtern und die Telemedizin begründen. Der Verkehr wird sie zur automatischen Steuerung und Regelung einsetzen mit dem Ziel, den Verkehrsfluss beherrschbarer und sicherer zu machen; GPS (Global Positioning System) ist der Einstieg in eine solche Verkehrstelematik.
 
Die Akzeptanz dieser technischen und gesellschaftlichen Revolution ist bemerkenswert groß. Allenfalls Detailprobleme, beispielsweise beim Datenschutz oder der Arbeitsplatzstruktur, werden kontrovers verhandelt. In der gegenwärtigen Implementierungsphase überwiegt die Aufbruchstimmung. Der Lustgewinn mit dem neuen Medium stimuliert Technik und Märkte. In Anbetracht einer sonst eher zögerlichen Akzeptanz von Technik in der Gesellschaft ist dies schon bemerkenswert und kann allen zugute kommen. Die Sorge am Rande ist nur, dass in der Euphorie übersehen wird, dass Information und Kommunikation zwar wichtige, aber doch nur sekundäre Wirtschaftsfaktoren sind und die Bereitstellung neuer Produkte die eigentliche Basis einer auf Dauer erfolgreichen Volkswirtschaft bleibt. Die anhaltende Abwendung der Jugend von »harten« technischen Berufen ist in diesem Sinne Besorgnis erregend. Und als Horrorszenarium ergibt sich eine Hyper-Informations- und Kommunikationstechnik, die nur noch technische Leerinformationen transportiert!
 
 Umwelt
 
Gefahren und Schäden für die Umwelt sind zum Symbol für die negativen Begleiterscheinungen des industriellen Wachstums und des technischen Fortschritts geworden. Es ist keine Frage mehr, dass die Folgen bedrohlich sind und nachfolgende Generationen in hohem Maße belasten werden. Die Antwort, wie sie zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen sind, ist nur im Prinzip einfach: alle Eingriffe unterlassen, die das ökologische Gleichgewicht noch weiter aus der Balance bringen. Praktisch ist das nicht umzusetzen. Die Antwort kann also nur im Detail ansetzen: die Beschädigungen dort unterlassen, wo gesellschaftlicher Konsens erreichbar und die Technik verfügbar ist.
 
So unglaublich es erscheinen mag: Der gesellschaftliche Konsens ist das größere Problem, nicht die Technik. Ein solcher Konsens setzt zunächst voraus, dass es plausible Erkenntnisse gibt, wie Umweltbelastungen entstehen und wie sie sich auswirken. Dies muss aber dann auch erklärt und vor allem eingesehen werden, bevor mehrheitsfähige Initiativen greifen! Auf lokaler Ebene ist das noch am ehesten möglich, auf nationaler schon ungleich schwerer. Meistens braucht es sogar spektakuläre Informationen, wenn nicht gar Katastrophen, bevor etwas in Gang kommt. Die Mahnung des Bundesumweltministeriums im Jahr 1991, in Deutschland entstünden jährlich Folgekosten durch Bodenverschmutzungen zwischen 22 und 60 Milliarden DM, war in diesem Sinne Auslöser dafür, dass es nun Limitierungen per Gesetz gibt und beispielsweise Abfallentsorgung und Deponien entsprechend organisiert und überwacht werden. Ähnlich wirkten die Kohlendioxidmessungen in ihren Konsequenzen für die Kraftfahrzeugtechnik (Abgaslimitierung, Entwicklungsanstoß für benzinsparende Motoren) und die Energietechnik (Abgaslimitierung im Kraftverkehrs- und Hausbereich). Das ökologische Gesamtsystem Luft/Wasser/Boden ist jedoch viel zu komplex für äquivalente Maßnahmen. Dazu müssten alle Wirkungen im Einzelnen und auch in ihrem Zusammenhang bekannt sein. Die Wissenschaft ist damit (noch) überfordert. Die Gesellschaft muss sich deswegen zunächst und überwiegend auf wenigstens einigermaßen sichere Befunde und im Übrigen auf Intuition verlassen, wenn Eingriffe zugunsten der Umwelt per Verordnung oder Gesetz vorgenommen werden. Im Rechtsbewusstsein mag das problematisch sein. Im Interesse künftiger Generationen bleibt wohl trotzdem nichts anderes übrig, leider und (hoffentlich) ausnahmsweise. Die Erfahrung zeigt, dass trotzdem nur wenige Länder hierzu bereit sind und günstige politische Konstellationen helfen müssen. Deutschland ist diesbezüglich einsichtig und propagiert auch — entsprechend dem globalen Charakter des Umweltschutzes — umfassende Interessengemeinschaften. Dieses Anliegen scheint aber schon in der Europäischen Gemeinschaft schwer durchsetzbar zu sein, einem sonst kultur- und industriepolitisch ja sehr ähnlichen Gefüge. Im Weltmaßstab stößt es auf schier unüberwindliche Schwierigkeiten. Politischer und wirtschaftlicher Partikularismus verhindern gleichermaßen konsequentes gemeinsames Handeln. Verständigung gibt es bestenfalls bei Erklärungen, die zu nichts zwingen. Die ernste Sachlage genügt also nach wie vor nicht, Entscheidendes zu verändern.
 
In anderen Fällen (zum Beispiel im Verkehrswesen) hat die Technik die gesellschaftliche Veränderung einfach mit sich gezogen. In Bezug auf das Problem Umwelt kann sie dies jedoch nicht leisten. Das würde nämlich bedeuten, dass der Markt die Entwicklung bestimmt. Dem steht hier entgegen, dass die Vermeidung von Umweltschäden zunächst und in erster Linie zusätzliche Kosten bedeutet. Ein Markt, der auf Kostensteigerung aufbaut, ist aber nicht führungsfähig. Insofern bleibt Umwelttechnik ein »Verordnungsmarkt«; die Industrie folgt der Verordnung und nicht umgekehrt. Dass Umwelttechnik neue Märkte stimuliert, ist dennoch richtig, aber eben sekundär und nicht entscheidend für die Initiative.
 
Bleibt als Alternative letztlich die Wissenschaft als treibende Kraft? In der Technikgeschichte hat es das schon gegeben: Die Astronomie hat das Weltbild verändert, auch seinerzeit gegen massiven Widerstand. Die Wissenschaft hätte in der Tat auch jetzt wiederum Aufklärung zu betreiben — ihre ureigenste Angelegenheit. Dazu muss sie zunächst Wirkungen und Zusammenhänge herausfinden. Danach muss sie ihre Erkenntnisse ebenso engagiert vermitteln und dabei so weit gehen, dass Handlungsdruck entsteht. Das hat sie beim Ozonproblem (Ozonloch) so gehandhabt und ziemlichen Erfolg gehabt. Dementsprechend sind international abgestimmte Aufwendungen nicht nur als Technik-, sondern auch als Marketing- und Vertriebsinitiative zu sehen und auszulegen.
 
Letztlich kann aber doch nur der Verbund von Wissenschaft, Technik beziehungsweise Industrie und Gesellschaft beziehungsweise Staat die Sache voranbringen. So heftig auch das 21. Jahrhundert für Kommunikation und Information reklamiert wird, der Umwelt muss die Aufmerksamkeit in erster Linie gelten, schon weil hier weitere Unterlassungen endgültig sind. Das müsste eigentlich für alle Anreiz genug sein: für die Wissenschaft als erstrangiges intellektuelles Problem in der Sache mit ihrer Rolle als prägende kulturelle Kraft, für die Industrie als Chance zum Einstieg in neue Märkte, für die Gesellschaft im Ganzen als Pflicht zur Vorsorge für jetzt und später.
 
 Neue Technologien, neue Märkte
 
Die Anpassung an ein sich veränderndes Umfeld musste der Mensch von Anfang an bewältigen. Die Zyklen der Veränderungen waren aber in der noch von natürlichen Vorgängen geprägten Welt einigermaßen lang und damit auch die Zeit für die Anpassung. Heute überlagern sich diesen Naturzyklen die von uns selbst bewirkten Veränderungen. Deren Art, Phase und Amplitude werden offenbar immer ungewohnter. Sie drohen außer Kontrolle zu geraten, weil wir nicht über Konzepte zu ihrer Steuerung und Regelung verfügen. Nahezu ohnmächtig reagieren wir beispielsweise im Hinblick auf die Sicherung unserer natürlichen Ressourcen (Stichworte: Klima, Ernährung) oder die Umstellung unserer Arbeitswelt von Aufwand auf Effizienz (Stichworte: Automatisierung und Rationalisierung, Arbeitsteilung und Arbeitslosigkeit).
 
Die Probleme durch »trial and error« zu lösen, kann bestimmt nicht das Verfahren sein, mit dem die Gesellschaft auf Dauer zurechtkommt. Wir brauchen wohl überlegte Lösungswege, zumindest für die Szenarien, die die großen Risiken bergen! Entsprechende Lösungsansätze müssten folgenden Randbedingungen Rechnung tragen:
 
Die Globalisierung bewirkt, dass sich Probleme ohne wirksame lokale oder zeitliche Begrenzungsmöglichkeiten ausbreiten (Stichworte: Krankheiten, Finanzkrisen).
 
Problemlösungen sind nicht nur nach technischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu entwickeln, sondern sie müssen auch gesellschaftspolitisch akzeptabel sein (Stichworte: Energieversorgung, Abfallwirtschaft).
 
Die Wucht der Probleme ist so außerordentlich, dass es aller Intelligenz und Durchsetzungskraft bedarf, die Risiken zu eliminieren, die Chancen wahrzunehmen und dem Ganzen Schubkraft zu geben. Dazu muss die Gesellschaft ihren Standpunkt bestimmen, sich auf Prioritäten verständigen und sich selbst neu orientieren. Elemente dieser Zukunftssicherung könnten die folgenden Ansätze sein:
 
These 1: Die Zukunft wird nur von einer intelligenten, ideenreichen Gesellschaft bewältigt. Bildung und Ausbildung müssen deswegen mit aller Kraft betrieben werden.
 
Das wird seit langem propagiert. Die aktuellen »Nachfragetendenzen« unterstützen aber den Verdacht, dass Bildung und Ausbildung mit dem Anspruch »Spaß von Anfang an« verbunden und nicht als »Notwendigkeit unter Mühe und Arbeit« verstanden wird (Stichworte: abnehmende Lernleistungen in der Schule, sinkende Studentenzahlen in Elektrotechnik und Maschinenbau). Hier sind Korrekturen dringend geboten. Die Schule muss hierzu vor allem beitragen: Schüler und Lehrer sind die elementaren Bausteine der Gesellschaft der Zukunft! In diesem Sinne geradezu alarmierend ist der Befund der Akademie für Technikfolgenabschätzung von 1998 in Baden-Württemberg, einem der Technik nach wie vor zugewandten Bundesland, dass ausgerechnet Lehrer eine eher negative Einstellung entwickeln!
 
These 2: Die Gesellschaft muss einsehen und danach handeln, dass nach wie vor die Technik der Schlüssel zur Bewältigung der Zukunft ist.
 
Uns haben Naturforscher, Ingenieure und Facharbeiter zum Wohlstand geführt. Dass sie mit ihren technischen Leistungen auch Folgeprobleme induziert haben (Stichworte: Produktionsstrukturwandel, Umweltschäden), darf nicht dazu führen, dass Bedenken und Ängste — also rein emotionale Beweggründe — den technischen Fortschritt be- oder gar verhindern (Stichworte: Gentechnologie, Castor-Transporte).
 
These 3: Die Zukunft mit der Technik ist dennoch nur im Konsens der Gesellschaft zu bewältigen.
 
Dieses Verlangen setzt eine »reife« Gesellschaft voraus. Sie muss in der Lage sein, ihre Probleme und Ziele klar zu formulieren, die Problemlösungsangebote sachlich zu bewerten, die Kraft zur Verständigung auf den optimalen Weg aufzubringen, diesen auch konsequent zu gehen — und das alles in kurzen Aktions- und Reaktionszeiten. Eine solche »ideal community« haben wir nicht, müssen sie aber anstreben (These 1).
 
These 4: Die Lösung der Probleme schafft zugleich neue Märkte: die Märkte der Zukunft.
 
Eine auf Problemlösungen ausgerichtete Gesellschaft stellt sich den bisher nicht gelösten Aufgaben und öffnet damit zwangsläufig neue Märkte (Stichworte: Umweltschutz, Biotechnologie, Telearbeit). Bei der außerordentlichen Komplexität der Probleme sind das nicht allein Absatzmärkte, sondern und vor allem zuerst Märkte der Forschung und Entwicklung. Insofern wird Forschung und Entwicklung vielleicht sogar zum wichtigsten Marktfaktor im internationalen Wettbewerb, und auch dies führt wieder auf die grundlegende Bedeutung von Bildung und Ausbildung (These 1).
 
Es wäre natürlich naiv, die postulierte neue Problemlösungsgesellschaft durch gutes Zureden, vielleicht auch gute Vorbilder oder gar per Gesetzgebung im Sinne von »Alles oder Nichts« und »von heute auf morgen« schaffen zu wollen. Wenn sie aber als Gesamtziel akzeptiert wird, müssten doch zumindest Teilziele anzugeben und zu erreichen sein, sofern die erforderliche Aufbruchstimmung erzeugt werden kann. Der Druck dazu sollte schon allein aus unseren wichtigsten Erfahrungen kommen: Unsere Gegenwart wird von großen Krisen geprägt, und es ist schwer zu ertragen, damit zu leben. Die Richtung weist der andere Aspekt: Unsere Gegenwart ist von großen technischen Leistungen geprägt, und es ist ein Glück, in dieser Zeit zu leben. Und für die Zukunft dies: Bei aller Würdigung der »Contras« — nur mit »Pros« ist etwas zu gewinnen!
 
Prof. Dr. Joachim Hesse, Göttingen

Universal-Lexikon. 2012.

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